Mittwoch, 5. Januar 2011

Als der „Kannibale" über die Pyrenäen flog


Wer meint, dass die Fahrer der Tour de France am Ruhetag faul in der Sonne liegen, der irrt gewaltig. Drei bis vier Stunden lockeres Training, dazu ausgedehnte Massagen und zahlreiche Interviewtermine warten auf die Helden der Straße.
Zeit genug also, um die regionale Tourgeschichte von Pau mal etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Pau ist ein höchst flexibler Tourgastgeber. Je nachdem aus welcher Richtung das Peloton kommt, sieht man hier packende Sprintankünfte oder verabschiedet die Fahrer in die Berge.
1930 machte die Tour de France zum ersten Mal Halt in der Stadt am Eingang der Pyrenäen. Der Italiener Alfredo Binda sicherte sich damals den Etappensieg. Seitdem stoppte das Peloton 61 weitere Male in Pau und schrieb dabei mehrfach Tourgeschichte (62. Mal 2008).
Unvergessen das Jahr 1980, als der Bretone Bernard Hinault auf der zwölften Etappe sein Gelbes Trikot mühevoll gegen den Niederländer Joop Zoetemelk verteidigte und sich dafür tüchtig feiern ließ. Spät abends verkündete Hinault dann aber völlig überraschend seinen sofortigen Ausstieg aus dem Rennen. Er leide an Kniebeschwerden und könne das Rennen daher nicht fortsetzen, hieß es zur Begründung. Der späte Abgang löste Hektik und Chaos aus. Die Medienvertreter hatten ihre Berichte über die Etappe selbstverständlich längst ihren Arbeitgebern übermittelt, und die Zeitungen waren allerorts in Druck - natürlich mit Hinault in Gelb auf der Titelseite! Nach Hinaults spätem Ausstieg musste nun alles umgeschrieben werden, und im Zeitalter ohne Handy und E-Mail hatten die Journalisten allergrößte Probleme, die Neuigkeiten an die zuständigen Redakteure weiterzuleiten und die Druckmaschinen anzuhalten. Hinault, der sich ohnehin gerne einen Spaß mit den Medien machte, hatte also trotz seines traurigen Tourendes noch etwas zu Lachen.
1991 lenkte dann Urs Zimmermann den Blick auf sich. Wegen seiner Flugangst war der Schweizer von Nantes nach Pau nicht, wie es das Reglement vorsah, geflogen, sondern mit dem Auto gefahren. Nachdem ihn die Rennleitung daraufhin gnadenlos disqualifiziert hatte, zeigte sich das Peloton beim Start in Pau aber solidarisch und verharrte so lange am Zielstrich, bis auch Zimmermann in den Sattel steigen durfte.
Aus deutscher Sicht sind die Jahre 1977 und 1997 in bester Erinnerung, als Didi Thuaru und Erik Zabel in Pau jeweils eine Etappe gewannen.
Tourgeschichte schrieb man aber auch rund 20 Kilometer weiter westlich von Pau in Mourenx. Nachdem dort in den 1950er Jahren größere Gasvorkommen entdeckt worden waren, hatte man das Örtchen Mourenx-Ville-Neuville aus dem Boden gestampft und tausende von nordafrikanischen Arbeitern angesiedelt. Als die Tour de France 1969 erstmals in Mourenx-Ville-Neuville vorbeischaute, verschaffte dies dem recht nüchternen Ort ungewohnte Präsenz in den landesweiten Medien. Grund war Tourneuling Eddy Merckx, der am 15. Juli 1969 regelrecht über die Pyrenäengipfel flog und mit acht Minuten Vorsprung in Mourenx-Ville-Neuville über den Zielstrich radelte. Seinen Verfolgern Raymond Poulidor und Roger Pingeon blieb nur das Staunen und die Erkenntnis, dass die Tour 1969 angesichts von 16 Minuten Vorsprung für Merckx wohl einen vorzeitigen Sieger gefunden hatte. Die Stadtväter von Mourenx aber waren hellauf begeistert. Merckx Husarenritt hatte ihre triste Industriegemeinde endlich einmal in die Positivschlagzeilen gehievt.
Dreißig Jahre später bedankte sich der Ort auf angemessene Art und Weise bei der belgischen Radsportlegende. Ein neu erbautes Velodrom erhielt damals den Namen „Velodrome Eddy Merckx“ und wurde selbstverständlich mit einer Tour-de-France-Etappe eingeweiht. Am 22. Juli 1999 startete das Peloton von Mourenx-Ville-Neuville aus in Richtung Bordeaux. Ehrengast war natürlich der belgische „Kannibale“, dem man in Mourenx-Ville-Neuville so viel verdankt. Heute ist das Radstadion regelmäßig Schauplatz regionaler Rennen und lockt zudem zahlreiche Eddy-Merckx-Fans an.

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