Normalerweise schläft die ganze Stadt um vier Uhr früh noch. Aber nicht heute, denn an diesem Morgen schallen Motorengeräusche durch die engen Gassen der Altstadt. Die Tour de France ist zu Besuch.
Mitten in der Nacht reisen die Trucks an. Übertragungswagen aller großen Fernsehsender Europas, kleine Transporter und auch die roten LKWs der „Norbert Dentressangle“-Spedition. Lautstark. Alle müssen es hören. Geparkt wird dort, wo am nächsten Nachmittag der Zieleinlauf sein wird. Motor aus, und noch schnell ein paar Stunden Schlaf, bevor es mit dem Aufbau gegen halb fünf Uhr morgens losgeht.
Monsieur Pagès ist der Erste, den man zu Nacht schlafender Zeit auf der Straße trifft. Er ist der Cheforganisator der „Zone Technique“ und damit verantwortlich dafür, dass im Laufe des Vormittags alles funktioniert. Er ist es auch, der sich die Städte im Vorfeld mit anschaut uns auswählt. Schließlich muss die technische Zone genau platziert werden.
Alles ist ausgemessen. Alles ist organisiert.
Eher gemütlich geht es in den frühen Morgenstunden los. Aus den Schlafkabinen der LKWs kriechen müde die ersten Fahrer. Sie sind gleichzeitig auch Logistiker und eigentlich Mädchen für alles. Sie parken ein, bauen auf, kochen Kaffee, machen sauber.
Die großen Trucks werden angeschmissen, und innerhalb kurzer Zeit herrscht ein Höllenlärm in der verschlafenen Stadt. Als unbedarfter Zuschauer ist dies der Zeitpunkt, an dem man sich besser einen Platz außerhalb sucht und von dort aus still beobachtet. Die Gefahr, irgendwo unter die Räder zu kommen scheint riesengroß. So wuselig und unübersichtlich es auch ist, beim genauen Hinsehen erkennt man, dass alles aufeinander abgestimmt ist. Jeder Zentimeter ist vergeben und jeder Handgriff sitzt. Es ist ein eingespieltes Team, das hier die tonnenschwere LKWs rangiert und einweist.
Starke Nerven braucht es dennoch. So muss der Fahrer, der die Einzelteile des Zieleinlaufs auf seiner Ladefläche befördert, seinen Truck rund 20 Mal hin und her rangieren. Millimeter um Millimeter kämpft er sich an die perfekte Stellung heran. Er ist die Ruhe selber. Hat einen dampfenden Becher Kaffee neben seinem Cockpit stehen und einen frischen Buttercroissant zwischen den Zähnen. Nach einer guten Stunde macht er seinen Motor aus. Er hat seinen LKW perfekt platziert. Schnell abgeladen, und weg ist er wieder. Wenig später erscheinen einige Arbeiter mit kleinen Gabelstaplern und fahren die abgeladenen Teile kreuz und quer zusammen. Sofort sitzt wieder jeder Handgriff, als das „Arrivée“ zusammengebaut wird. Aus einem Truck werden Reporterkabinen, aus einem anderen die VIP-Tribüne.
Während an allen Seiten gleichzeitig gewerkelt wird, läuft Pagès mit Papier und Stift sowie mit einem Funkgerät im Dauereinsatz durch das scheinbare Chaos. Wilde Gesten hier, laute Worte dort, ein Schulterklopfen auf dem Weg und im nächsten Moment sieht man ihn auf seiner Vespa durch die andere Seite der „Zone technique“ fahren.
Gegen neun Uhr ertönt ein lauter Gong. Das Zeichen zum Gruppenmeeting am Zielstrich. Das Ritual findet jeden Morgen statt, in jedem Zielort. Fahrer und Logistiker treffen sich, und der Chef erläutert, was besonders gut gelaufen ist, oder auch was nicht. Da kann es schon mal vorkommen, dass jemand namentlich besonders hervorgehoben wird. Positiv wie negativ. Laut, wie leise. Hier sind alle per Du.
Danach gibt es Frühstück für alle Beteiligten. Jeder Zielort muss dies zur Verfügung stellen und häufig ist auch noch ein kleines Präsent dabei. Fast immer eine regionale Spezialität – an diesem Morgen eine Flasche Wein und dazu kleine Kuchen für jeden.
Nach dem Meeting werden die scheinbaren Kleinigkeiten erledigt. Unzählige Meter Kabel werden entrollt, hier eingestöpselt und dort eingestöpselt, Fahnen gehisst, Stühle aufgestellt und sauber gemacht.
Wenn für die Aufnahmeleiter, Reporter und Redakteure der Arbeitstag beginnt, endet er für die Fahrer der Trucks. Sie begeben sich in die gebuchten Hotels, um zumindest ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Gleich nach dem Zieleinlauf beginnt für sie nämlich wieder die Arbeit: Alles abbauen und in den nächsten Zielort fahren.
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