Montag, 11. Juli 2011

Zum Ruhetag: Die TdF 1934



Entnommen aus der Enzyklopädie Tour de France. Nachdem im letzten Jahr die Bergwertung eingeführt worden war, gab es auch in diesem Jahr eine richtungsweisende Neuerung: Erstmals in der Tourgeschichte wurde auf der drittletzten Etappe ein Einzelzeitfahren ausgetragen.
Nur 60 Teilnehmer hatten sich angemeldet, so wenig wie seit 1905 nicht mehr.
André Leducq war aufgrund einer Meinungsverschiedenheit mit Tourchef Desgrange nicht am Start. Die Kapitänsrolle im französischen Team übernahm Charles Pélissier. Auch Antonin Magne war in Topform, und man erwartete einen spannenden Zweikampf zwischen ihm und Vorjahressieger Georges Speicher. Die Deutschen wurden von Henri Desgrange mit Anerkennung überschüttet. Stöpel, Geyer, Buse, Kutschbach, R. Wolke, Nitschke, Risch und B. Wolke füllten das deutsche Team.
Um Punkt acht Uhr morgens ging es von der Rue Fauberg Montmartre auf den Weg zum Start. Als das französische Team als letztes die heiligen Hallen der „L’Auto“ verließ, kannte der Jubel keine Grenzen. Über zwei Stunden dauerte es, bis die Teilnehmer sich ihren Weg zum Startplatz in Vésinet gebahnt hatten!
Kurz nach dem Start versuchte Lapèbie sich abzusetzen, Charles Pélissier und René Vietto setzten ihm aber nach und brachten somit erstmals Bewegung ins Feld. Im Hippodrome des Flandres in Lille gewann Speicher vor Romain Maes die Etappe. Willi Kutschbach wurde sensationell Sechster. Leider beendete Kurt Nitschke das Rennen bereits am ersten Tag. Ihn ereilten zahlreiche Reifendefekte, so dass er schon nach kurzem zu viel Zeitrückstand hatte.
Auch auf der zweiten Etappe gab es zahlreiche Pannen und Stürze. Auf dem Kopfsteinpflaster des Nordens schieden einige Fahrer aus. Neben dem Schweizer Blattmann war es noch Rafaele Di Paco, der das Rennen beenden musste. Auch René Le Grevès stürzte, konnte sich aber gleich wieder aufrappeln. Mit Magne und einigen anderen fuhr er in die Radrennbahn in Charleville ein und gewann die Etappe im Sprint. Geyer und Buse kamen mit dieser Führungsgruppe ins Ziel. Deutschland hatte sich damit in der Teamwertung auf den zweiten Platz vorgeschoben.
Am vierten Tag ging es in die Vogesen. Und er begann gleich hervorragend für das deutsche Team. Die Gebrüder Wolke setzten sich vom Feld ab und fuhren gemeinsam einen Vorsprung heraus. Leider wurden sie von einer Bahnschranke gestoppt, und das Verfolgerfeld schloss auf. Danach versanken sie im Peloton. Roger Lapébie siegte vor Morelli. Antonin Magne konnte sein Gelbes Trikot allerdings verteidigen.
Die fünfte Etappe führte bereits in die Richtung Alpen. Hermann Buse eröffnete die Angriffe. Er strotzte an diesem Tag vor Kraft und konnte dem Peloton entfliehen. Erst am Col de la Faucille hatten sie ihn wieder eingeholt. Eine große Führungsgruppe kam ins Ziel. René Le Grevès und Georges Speicher waren die Schnellsten im Sprint und wurden trotz eines Fotosvergleichs beide zum Sieger erklärt. Der Franzose Antonin Magne fuhr bislang gut mit und verteidigte Tag für Tag sein Gelbes Trikot.
Die sechste Etappe wurde erst mittags um halb zwölf gestartet. Fast dreißig Grad herrschten und sorgten dafür, dass das Feld erst langsam in Schwung kam. Der Italiener Giu-seppe Martano riss als Erster aus, musste seinen Tritt nach einiger Zeit aber wieder verlangsamen. Der kleine Schwächeanfall kostete ihm einige Meter und die „Touristes routiers“ Vervaecke, Molinar und Morelli konnten ihn einholen. Auch Magne war kurz danach bei ihnen. Auf der Abfahrt stürzte Vervaecke dreimal, und auch Kurt Stöpel, der sich eine gute Position erkämpft hatte, ereilte das Pannenpech. Er fiel dadurch noch weiter zurück. Georges Speicher gewann die Tageswertung.
Auch der nächste Tag führte das Feld durch die Alpen. Kurz nach dem Start fuhr der Spanier Ezquerra davon und er hatte auch genügend Energie, den ersten Gipfel zu erklimmen. Auf dem Col du Télégraphe kam der Spanier als Erster an, danach der 20-jährige Franzose René Vietto. Antonin Magne im Gelben Trikot kämpfte sich auf der Abfahrt ebenfalls heran. Vietto war voller Energie und riss erneut aus. 50 Kilometer fuhr der tollkühne Franzose alleine über die Berge. Seinen letzten zähen Widersacher Ezquerra hängte Vietto auch ab und gewann die Etappe souverän. Die deutschen Wolke-Brüder hatten Pech und kamen trotz großem Engagement erst nach Kontrollschluss ins Ziel und mussten das Rennen beenden. Geyer kämpfte sich ebenfalls durch den Tag. Eine Magenverstimmung bremste ihn jedoch. Wie ein Häufchen Elend saß er in seinem Sattel, erreichte aber trotzdem das Ziel.
Am nächsten Tag war Ludwig Geyer wieder fit. Pastorelli war ausgerissen, und Geyer fuhr ihm nach. Einfangen konnte er ihn aber nicht. Etappensieger wurde Guiseppe Martano vor Antonin Magne.
Die neunte Etappe war eine gute für die Deutschen. Geyer war immer wieder die treibende Kraft bei Ausreißversuchen und setzte sich damit hervorragend in Szene. Auch Kurt Stöpel war gut in Form. In den letzten Tagen hatte er viel Pannenpech, aber im Laufe des Tages arbeitete er sich immer weiter nach vorne. Star des Tages aber war der Franzose René Vietto. Er feierte klar den Tagessieg, mit über zwei Minuten Vorsprung vor dem Tageszweiten Edoardo Molinar.
Auf der zehnten Etappe stürzte der Belgier Romain Maes und musste umgehend ins Krankenhaus gebracht werden, wo er sofort operiert wurde.
Beim Start in Nizza wurden die Fahrer auf äußerst liebevolle Art verabschiedet. „Das ist die Liebe der Matrosen“ schallte es aus tausenden Kehlen, denen das städtische Orchester musikalische Begleitung gab. René Vietto fühlte sich heute besonders wohl, ging es doch über seinen „Hausberg“ Col de Braus, auf dem er auch prompt als Erster ankam. Obwohl unmittelbar an seinem Hinterrad Martano fuhr, der sich auch auf der Abfahrt nicht abschütteln ließ. In Monte Carlo wurden die beiden von einer unglaublichen Menschenmenge empfangen, und Schulter an Schulter fuhren sie durch ein Zuschauerspalier. Magne war weit weg. Drei Minuten lag der Träger des Gelben Trikots schon hinter ihnen. Vietto gewann mit haudünnem Vorsprung die Etappe. Antonin Magne kämpfte und konnte seinen Vorsprung in der Gesamtwertung vor Martano ebenso hauchdünn verteidigen.
Der größte Teil der 13. Etappe führte das Peloton durch die heiße vegetationslose Crau-Region in Südfrankreich. Dementsprechend dümpelte auch die Etappe dahin. Erst im Ziel wurde es hektisch und den Franzosen unterlief ein fataler Fehler. Anstatt Magne darin zu unterstützen, dass er die Etappe gewinnen konnte und damit auch die 1:30 Minute Zeitgutschrift, zog sein Kollege Speicher an ihm vorbei und sicherte sich den Tagessieg.
Auch am nächsten Tag wurde gebummelt. Das ärgerte Organisator Desgrange dermaßen, dass er im Velodrom von Perpignan ein Extrarennen austragen ließ, um den wahren Tagessieger zu ermitteln. Roger Lapébie entschied das Rennen für sich.
Immer noch angesäuert schickte Desgrange das Peloton zur 15. Etappe erst eine Stunde später auf die Reise. An den ersten Steigungen zum Mont St Louis trat Magne wuchtig an und überraschte Martano damit völlig. Magnes Kollegen formierten sich daraufhin, um die Verfolger zu bremsen. Das gelang nur für kurze Zeit, denn Magne war bald wieder eingefangen. Auf der Abfahrt vom Puymorens fuhren Vietto und Magne Seite an Seite, als Antonin bei Tempo 70 stürzte. Sofort war sein Kollege bei ihm, schraubte sein Vorderrad ab und bei Tonin ran. Sein unverletzter Kapitän konnte so weiterfahren, während der traurige Vietto auf den Materialwagen wartete. Damit hatte er seinem Kapitän das Gelbe Trikot gesichert.
Auch die 16. Etappe ging noch durch die Pyrenäen. Bis zum Anstieg des Col de Port passierte nichts und das Feld fuhr einträchtig nebeneinander. Die Wege waren mit Schlaglöchern übersät, und es war nicht leicht zu fahren. Am Col de Port sprintete Vietto dann los, Martano ging hinterher. Mit ihm noch drei Spanier, sowie Geyer und Lapébie. Aber Vietto hatte schon genug Vorsprung und zwei Kilometer unterhalb des Gipfels war er noch immer an der Spitze. Sein Kapitän Magne hatte am Col des Ares einen Kettenriss und Vietto musste sich zurückfallen lassen. Das kostete ihn den Etappensieg, sicherte seinem Kapitän aber erneut das Gelbe Trikot und ihm selber zahlreiche Sympathien im französischen Volk. Geyer wurde Neunter der Etappe.
Am nächsten Tag fuhr Antonin Magne das Rennen seines Lebens und entschied die Tour de France für sich. Der Gesamtzweite, Martano, verlor an diesem Tag 13 Minuten und war nun über 20 Minuten hinter ihm in der Gesamtwertung.
Die nächsten Etappen waren von Ereignissen nicht gerade geprägt. Auf der 19. Etappe ließ Tonin Magne sein Rad in Mont-de-Marsan nach 83 Kilometer aufs Pflaster fallen und rannte zu einer hübschen Dame. Freudig küsste er sie und brachte seine Kollegen damit zum Schmunzeln. Es stellte sich heraus, dass es Tonins Braut war, die er gleich nach der Tour ehelichen wollte. Schüchterne Ausreißversuche wurden immer wieder im Keim erstickt.
Beim zweiten Abschnitt der 21. Etappe, dem Einzelzeitfahren, kam wieder ein wenig Stimmung auf. Jeder Fahrer wurde von der ortseigenen Kappelle mit lautem Tusch verabschiedet. Stöpel hatte eine Reifenpanne und Ludwig Geyer wurde sensationell Dritter.
Die letzte Etappe nach Paris wurde eine einzige Triumphfahrt für Antonin Magne und René Vietto. Die Ausfallstraßen der Hauptstadt waren mit Menschen gesäumt, und der Prinzenpark platzte aus allen Nähten. Seit acht Uhr morgens wartete ein Großteil der Besucher schon im Stadion aus.

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