Dienstag, 5. Juli 2011
Mur-de-Bretagne. Ein Berg der besonderen Art
Mitten in einer endlos weiten Landschaft erhebt sich die Côte de Mûr-de-Bretagne. Von weitem kaum zu erahnen, taucht sie plötzlich auf und lässt selbst Bergziegen ehrfürchtig schaudern.
Ein einziges altes Wohnhaus wacht am Beginn des Anstiegs und erträgt stoisch das beständige Rauschen an der viel befahrenen Kreuzung. Ansonsten haben sich an der Route Firmen niedergelassen, die Landmaschinen und Gartengeräte verkaufen.
Zwischen Pontivy und Guingamp liegt der überschaubare Ort Mûr-de-Bretagne, in dem es zwar auch schon ordentlich hoch und runter geht, die ahnungslosen Fahrer aber nicht darauf hinweist, welche Herausforderung vor den Toren des Ortes noch auf sie wartet. Durchschnittlich 8,5 Prozent Steigung auf 1.600 Metern hört sich vielleicht nicht gerade gigantisch an, doch weil es schnurgerade aus geht, wirkt der Anstieg wesentlich wuchtiger als bei manch höherem Berg, an dem man sich von Kurve zu Kurve ziehen kann.
Die Côte de Mûr-de-Bretagne blickt auf eine über 60 Jahre alte Tourtradition zurück. 1947 stand sie im ersten Rennen nach dem Zweiten Weltkrieg während der 19. Etappe erstmals im Tourverlauf. Es war das längste Einzelzeitfahren der Tourgeschichte, als es über 139 Kilometer von Vannes nach St-Brieuc ging. Es war zudem das Jahr, in dem der Bretone Jean Robic die Tour de France gewann. Zwar trug er das Gelbe Jersey auf der damaligen Etappe noch nicht, lag im Gesamtklassement aber auf einem aussichtsreichen fünften Platz. Auf heimischen Boden fuhr er eine gute Etappe, beflügelt von den Anfeuerungen seiner Landsleute. Das ist bis heute Grund genug, dass die Bretonen aus allen Teilen der Region an die Côte de Mûr-de-Bretagne tingeln.
1977 wurde an der Erhebung erstmals um Bergpunkte gekämpft. Bergfloh und Kletterkünstler Lucien Van Impe holte sich die volle Punktzahl und wurde erneut der beste Bergfahrer. Gewinner der Etappe war jedoch der Deutsche Klaus-Peter Thaler. Didi Thurau fuhr derweil im Gelben Trikot über die Côte de Mûr-de-Bretagne und zog zahlreiche deutsche Touristen an die Strecke. Die Straßenränder und nebenstehenden Äcker waren von fröhlichen und lautstark jubelnden Fans gesäumt.
2004 und 2006 war die Tour de France erneut zu Gast und versetzte die Region rund um die Ortschaft erneut in den Ausnahmezustand. Bauern räumten ihre Felder und verwandelten sie in Parkplätze, einige ganz fanatische Anhänger reisten schon Tage vorher an. Fast wie beim „echten“ Alpe d’Huez, wird auch beim "bretonischen Alpe d'Huez" gepinselt und gemalt, herrscht laute Begeisterung, wenn die Helden endlich über das Pflaster rollen. Ungleich des Alpe d'Huez ist die Côte de Mûr-de-Bretagne aber noch immer ein Familienberg und keine Partymeile.
Nach zwei tourlosen Jahren wurde es nach Ansicht vieler Einwohner Zeit, dass der Tour-Tross 2008 endlich wieder durch ihre Ortschaft zog. Die Côte de Mûr-de-Bretagne ist ein Insidertipp. Weit weg von der Küste gelegen, steht die Region nicht auf den klassischen Touristenrouten. Man muss ihn schon kennen, diesen mystischen Berg. Wer vor der Straßenschließung kommt, findet reichlich und gut ausgeschilderte Parkplätze. Und selbst vor Regen und Sonne kann man sich unter den üppig gewachsenen Bäumen gut verstecken. Man sieht die Fahrer schon früh am Horizont erscheinen, doch es dauert schier endlos, bis sie dann endlich an einem vorbei kommen. In diesem Jahr ist die Mûr-de-Bretagne erstmals Etappenziel. Am Vorabend wird im Ort ein bretonisches Volksfest veranstaltet. Bretonen aus allen Teilen der Region werden an die Mûr kommen und den Berg mit den traditionellen schwarz-weißen Fahnen bestücken.
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