Freitag, 15. Juli 2011
Lieferservice am Berg
Obwohl Marie Blandin bereits 76 Jahre alt ist, fährt sie in jedem Jahr mit ihrem Auto hinauf auf die Pyrenäengipfel, um die Tour-de-France-Fans mit Wasser, Baguette und Kaffee zu versorgen. Von vielen Wartenden wird sie dort oben schon sehnsüchtig erwartet.
Marie Blandie ist eine rüstige ältere Dame aus dem Departement Haute-Pyreneés. Seit 1910 durchquert die Tour de France jährlich ihre Region. Die Große Schleife gehört hier zum Sommer wie die Sonne und die Urlauber.
Marie Blandies Heimatort ist Campan. Ein unscheinbares Örtchen vor den Toren von Bagnères-de Bigorre, das von den meisten Radreisenden nur als Durchreiseort wahrgenommen wird. Kein Wunder, warten doch einige Kilometer höher die Berggiganten Tourmalet, Aspin und Peyresourde. Und auch das nahegelegene Sainte-Marie-de-Campan wird von den Radsportenthusiasten gerne besucht. 1913 schrieb Eugène Christophe dort Tourgeschichte, als er aus Richtung Tourmalet kommend eine weite Strecke zu Fuß bewältigen musste, weil ihm die Vordergabel seines Rades gebrochen war. Erst in Sainte-Marie-de-Campan konnte er sein Gefährt eigenhändig reparieren und weiterfahren.
Marie Blandin ist mit der Tour de France aufgewachsen. „Ich liebe die Stimmung“, verrät sie und bekennt: „Am Tag, bevor die Tour kommt, ist es eigentlich am Schönsten. Da ist alles noch so entspannt.“
Seit über vierzig Jahren hat es sich Marie Blandin zur Aufgabe gemacht, die Tour-de-France-Fans mit Speis und Trank zu versorgen. Es begann, als sich ihre drei Buben aus dem elterlichen Haus verabschieden und eigene Wege gingen. „Da kam mir die Idee, doch einfach mal auf die Gipfel zu fahren und zu gucken, ob da nicht irgendjemand irgendetwas braucht".
„Seitdem mache ich das in jedem Jahr“, erzählt sie. Und so auch heute. Gegen sechs Uhr in der Früh steht sie auf. Dann geht es zum Bäcker, um die bestellten 30 Baguettes abzuholen. Zeitungen holen, Kaffee kochen. Ihren typisch französischen Kastenwagen hat sie schon am Vortag gepackt, so dass sie sich rasch auf den Weg machen kann.
Heute führt der Weg über den Col d‘Aspin, doch das Wetter ist schlecht. Keine 50 Meter kann sie gucken. Dazu Regen, der schon die ganze Nacht über niedergeprasselt ist. Hupend quält sich Marie die enge Straße hinauf. Hier und da klettern Menschen aus ihren Wohnmobilen und winken der alten Dame zu. Ein Euro und dreißig Cent für ein Baguette, ein Euro fünfzig für einen Becher Kaffee. Vor allem der wärmende Kaffee ist an diesem Morgen schnell ausverkauft. „Wenn es warm ist, dann kaufen alle nur Wasser, und ich muss meinen Kaffee wieder mit nach Hause nehmen“.
Früher ist sie noch mehrmals am Tag hinauf gefahren. Doch heute decken sich die meisten Besucher selber ein, und sie fährt nur einmal hinauf. „Es geht ja vor allem darum, dass man was vor hat“, strahlt sie. „Ich freue mich jedes Jahr darauf.“
Einige der Besucher sieht sie fast jedes Jahr. Aber sie kann sich schlecht Gesichter merken. „Ich erkenne sie nur am Auto oder den Fahnen“. Und sie ärgert sich, dass sie keine andere Sprache spricht. „Dann würde ich mich sicherlich auch mehr mit den Menschen unterhalten können.“
Solange es geht, will Marie auch weiterhin die Pyrenäengipfel erklimmen, um die hungrigen Mäuler der wartenden Fans zu stopfen.
Sie selber schaut sich die Tour de France lieber gemütlich vor ihrer Haustür an. Oder im Fernsehen, falls der Tross nicht den Weg durch Campan findet.
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